Redebeiträge

Redebeitrag der Migrantifa auf der We United-Demonstration am 05. Juli 2020 in Weimar:

Liebe Freund*innen, liebe Schwestern, liebe Brüder,

wir beide sprechen heute stellvertretend für die Migrantifa Weimar zu euch. Wir sind ein Zusammenschluss von verschiedenen (post-)migrantischen Menschen, die sich alle komplett neu gefunden haben. Einige von uns machen schon seit vielen Jahren Politik, andere wiederum fangen mit ihrem Aktivismus erst an. Wir wollen gemeinsam einen Raum schaffen, in dem wir uns für den Widerstand empowern und Kraft gewinnen können für den Kampf gegen Rassismus, Polizeigewalt, Faschismus und (Neo-)Kolonialismus in der Bundesrepublik Deutschland. Gleichzeitig soll die Gruppe als Safe Space sowie einer Vernetzung und Selbstorganisation dienen. Wir möchten progressive Aufklärungsarbeit leisten, zum Beispiel mit Veranstaltungen in Form von Vorträgen, Workshops, Demonstrationen und kleinen Feiern. Unser Ziel ist es, kontinuierlich im öffentlichen Raum aufzutreten und somit die in Weimar vorhandene Diversität zu zeigen und offen mit den Bürger*innen der Stadt an den bereits erwähnten Themen zu arbeiten.

Heute möchten wir die Plattform nutzen, um über die erschreckende Entwicklung der Diskussion über Rassismus in den letzten Wochen zu sprechen. Während wir vor ein paar Wochen überhaupt erst anfingen, einigermaßen konstruktiv über strukturellen Rassismus in unserer Gesellschaft zu sprechen und sogar das Gespräch mit Black, Indigenous and People of Color gesucht wurde, so müssen wir doch ernüchternd feststellen, dass der Diskurs durch unterschiedlichste Politiker*innen, welche selbst nicht von Rassismus betroffen sind, eine Verschiebung erfährt. Ohne auf die kleinsten Wünsche und Forderungen von BIPoC einzugehen, werden sämtliche Inhalte kritisiert, abgewiegelt, ignoriert oder gleich durch Stellvertreter*innendiskussionen aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht.

Seit den nächtlichen Unruhen von Stuttgart vor einigen Wochen, die vermutlich in Folge einer Racial Profiling-Kontrolle entstanden sind, werden BIPoC täglich mit rassistischen Angriffs- und Denunzierungsversuchen konfrontiert. Selbstverständlich verurteilen wir eine solch sinnlose Gewalt, die im Übrigen selbst von der Polizei als unpolitisch eingeordnet wird. Doch wieder kommt es zu einer gesellschaftlichen „Gewalt“-Debatte, die sich stets an der vermeintlichen Gewalt von marginalisierten Bevölkerungsgruppen oder Antifaschist*innen entzündet – ganz besonderes, wenn gemeint wird „Fremde“ unter den „Gewalttäter*innen“ ausmachen zu können. So ist die lokale Migrantifa-Gruppe in Stuttgart aber entgegen der Behauptungen der AfD-Parteivorsitzenden Alice Weidel gar nicht an den Geschehnissen beteiligt gewesen.

Insbesondere Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU nutzte sogleich die Chance, um nicht (mehr) über strukturellen Rassismus und Polizeigewalt in der BRD sprechen zu müssen. Stattdessen stellte er eine Verbindung zwischen einer umstrittenen polizeikritischen Kolumne in der Tageszeitung taz und den Krawallen von Stuttgart her. Mit diesem Coup ist es ihm gelungen, dass nicht mehr über rassistische Polizeigewalt und faschistische Strukturen innerhalb und außerhalb des Staatsapparates diskutiert wird. Sogleich ist die Rede gewesen von einer „Enthemmung der Worte“ sowie einer „Verrohung der Gesellschaft“. Ja, das ist der gleiche konservative Politiker, der von „Migration als Mutter aller politischen Probleme in Deutschland“ spricht und sich „gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme bis zur letzten Patrone wehren möchte“. Der baden-württembergische Innenminister von der CDU bezeichnet unterdessen die Ereignisse von Stuttgart als Ausschreitungen „in nie dagewesener Qualität“. Wer sich an die pogromartigen Straßenschlachten von Neonazis in Heidenau oder Chemnitz erinnert, sieht das vielleicht anders. Die Polizeigewerkschaft sieht den Grund der Geschehnisse wiederum in einem vermeintlichen Klima der Feindlichkeit gegenüber Polizeibeamt*innen, dass durch die Kritik und einen Generalverdacht am staatlichen Gewaltmonopol entstehe.

Nun spricht die deutsche Gesellschaft nicht mehr über Black Lives Matter, die Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit dem NSU, den rechten Terror von Halle oder Hanau, den Tod von Mohamed Idrissi in Bremen durch Polizeigewalt oder die geflüchteten Menschen, welche auch in diesem Moment wieder im Mittelmeer ertrinken. Was hier gerade passiert, ist sogenanntes „Derailing“: Eine bewusst herbeigeführte „Entgleisung“ der Debatte. Dieses Ablenkungsmanöver ist nicht nur widerwärtig, sondern auch gefährlich. Erst gestern hat sich das Bundesinnenministerium um Horst Seehofer entschieden, dass eine von der Bundesregierung angekündigte Studie zu Racial Profiling nicht durchgeführt werden soll – Grund: kein Bedarf und Unverständnis für Rassismusvorwürfe gegen die Polizei. Statt sich also mit strukturellem Rassismus in deutschen Sicherheitsbehörden oder der Gesellschaft zu befassen, gehen bürgerliche Politiker*innen und Presse lieber gegen vermeintliche Volksverhetzung gegenüber Polizist*innen vor.

Und hier tritt die thüringische Polizei auf die Bühne: Nach einer polemisch formulierten Kritik der Fridays For Future-Gruppe Weimar im sozialen Netzwerk Twitter, folgt eine repressive Reaktion in Form eines Ermittlungsverfahrens durch die Weimarer Polizei und die Staatsanwaltschaft wegen angeblicher Volksverhetzung nach §130 I Var. 2 Strafgesetzbuch.

„Feuerwehr und Rettungsdienst retten Menschen. Die Polizei diskriminiert, mordet, prügelt, hehlt. Lasst uns aufhören die beiden in einem Atemzug als „Helfer“ zu titulieren. Stattdessen sollten wir Antifa und Migrantifa wertschätzen! Deutschland hat ein #Polizeiproblem“

„§130 StGB Volksverhetzung

(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

  1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
  2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Diese Methode einer reinsten Täter*innen-Opfer-Umkehr findet nicht zum ersten Mal statt. Schon beim neuen Berliner Antidiskriminierungsgesetz wurde von einer „Diskriminierung“ von Polizeibeamt*innen gewarnt. Klar, können auch Polizist*innen eine Diskriminierung erfahren – als BIPoC, LGBTQIA oder alte Menschen, doch eben nicht in ihrer Funktion als Polizist*in. Oder habt ihr schon was von der strukturellen und institutionellen Benachteiligung von Cops gehört, die keine Wohnung finden oder Probleme bei der Jobsuche haben, weil sie eine Uniform tragen? Für marginalisierte Menschen sind solche Erfahrungen der harte Boden der Realität, auf dem sie mit ihren Köpfen aufschlagen – insbesondere, wenn die politische Rechte um die AfD wieder einmal ihre menschenverachtende Hetze von sich gibt, die dann aber vom „Recht auf freie Meinungsäußerung“ gedeckt ist. Immer noch wird in diesem Land durch eine ungleiche Verteilung von Macht und Privilegien festgelegt, wer bestimmte Dinge sagen darf und wer nicht. Wo bleibt der Aufschrei, wenn wie vor einigen Tagen in Chemnitz bei einem rassistischen Angriff ein 10-jähriges Kind mit einer Waffe angeschossen wird?

Für uns bedeuten diese gesellschaftlichen Verhältnisse mit ihrer Doppelmoral nur eins: Wir müssen weiterhin über Rassismus, koloniale Kontinuität, Machtstrukturen und Polizeigewalt reden.

Unsere Solidarität und unser Dank gilt unseren Freund*innen von Fridays For Future Weimar. Für uns (Post-)Migrant*innen ist und bleibt klar: Der Diskurs unserer antirassistischen Gesellschaftskritik lässt sich mit keinem Schlagstock und keinem Pfefferspray der Welt unterbinden. Und vor allem nicht mit Strafanzeigen. Wir sagen: Ihr bringt uns nicht zum Schweigen. Ein antifaschistisches Engagement ist und bleibt legitim sowie notwendig.

Stay together, fight together!

No justice, no peace!


Redebeitrag der Migrantifa auf der Black Lives Matter-Kundgebung am 20. Juni 2020 in Weimar:

Liebe Schwestern, Brüder, Genoss*innen, Freund*innen,

der Tod von George Floyd durch den brutalen Einsatz der Polizei in der US-amerikanischen Stadt Minneapolis löste in den letzten Wochen globale Trauer und Wut aus, die sich in einer weltweiten Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt manifestierte. Diese Proteste sorgten dafür, dass eine öffentliche Debatte entstanden ist, die leider aus einer priviligierten weißen Sicht geführt wird. Eine Diskussion ohne eigene Reflektion. Eine Diskussion ohne eigenes Fehlverhalten anzuerkennen. Eine Diskussion in der Schwarze Menschen und People of Color permanent von ihren Rassismuserfahrungen – sei es unter anderem auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, im Bildungsbereich oder durch Racial Profiling durch die Polizei – berichten müssen, weil die entwürdigende Frage gestellt wird ob es in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt Rassismus geben würde. Es reicht also nicht, nur die Situation in den USA zu kritisieren, denn rassistische bis hin zu tödlicher Gewalt gegen PoC ist auch hier in der BRD ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Seit 1990 sind mindestens 159 Menschen mit (post-)migrantischem Hintergrund im Gewahrsam der Polizei oder durch Gewalteinwirkung durch diese gestorben – Oury Jalloh, Halim Dener oder Amad Ahmad sind nur einige ihrer Namen. Diese hohe Zahl der Opfer zeigt, dass solche Tode durch rassistische Polizeigewalt keine Einzelfälle sind.

Eine polizeiliche Willkür gibt es ebenso in unserer Stadt, wenn auch ein direkter Vergleich hier nicht angebracht sein mag. Doch im Kern der Sache können wir sehen, wie einige Beamt*innen der Weimarer Polizei es schaffen durch sexuelle und rassistische Übergriffe in Erscheinung zu treten. So berichtete erst vor wenigen Wochen die Tageszeitung taz nach Recherche einer Journalistin Sarah Ulrich von erheblichen Führungsproblemen in der Dienststelle am Kirschberg. Die Vorwürfe gegen die Polizist*innen reichen von sexuellen Übergriffigkeiten im Rahmen einer offen rechtswidrigen Hausdurchsuchung im Jahr 2017 bis hin zu rassistischen Beleidigungen, sexistischen Gesten und körperlicher Gewalt gegen vier junge Erwachsene, die im April 2012 in Gewahrsam saßen. Davon, dass der einsatzleitende Polizeikommissar Tino M. offen Beiträge der rechtsradikalen AfD, rassistische Hetze sowie Verschwörungstheorien in sozialen Medien teilt, möchte ich gar nicht erst anfangen.

Dieses Fehlverhalten hat bis heute keine Konsequenzen für die Polizeibeamt*innen, welche in Teilen von der Justiz gedeckt werden. Vielmehr wurden die Ermittlungsverfahren wegen der begangenen Straftaten durch die Staatsanwaltschaft eingestellt; was zeigt, wie interne Kontrollmechanismen der Behörde einfach versagen. Stattdessen werden die Opfer kriminalisiert und die Aufklärungsquote niedrig gehalten. In einer Studie der Ruhr-Universität Bochum sind Forscher*innen zum Ergebnis gekommen, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt und weniger als zwei Prozent der Fälle von ungerechtfertigter Polizeigewalt in einem Gerichtsverfahren münden, weniger als ein Prozent enden mit einer Verurteilung.

An die anwesenden Polizeibeamt*innen aus Weimar möchte ich das Wort richten. Lasst euch gesagt sein: Wir werden euch sowie euer Handeln im Auge behalten. Gegen rassistische und sexistische Gewalt werden wir uns in Zukunft zu wehren wissen.

An die Teilnehmer*innen unserer Demonstration: Wenn ihr Rassismus oder Polizeigewalt beobachtet, bleibt stehen. Bietet den Betroffenen eure Hilfe an indem ihr sie ansprecht. Wenn ihr euch nicht traut, sichert Beweise indem ihr die Situation filmt oder fotografiert. Stellt euch als Zeug*innen zur Verfügung.

Dass viele dieser Vorfälle überhaupt bekannt werden, ist meist nur dem Engagement von Verwandten und Freund*innen der Opfer oder den Communities zu verdanken. Leider erschwert der Staat die Aufklärung immer wieder durch harte Repression gegen die Betroffenen und entzieht die Täter*innen in Uniform somit oft ihrer Verantwortung. Es sind nicht nur die Politik, sondern vor allem Justiz- und Sicherheitsapparate sowie der Verfassungsschutz, die – schlicht wegen fehlendem Interesse – rassistische Gewalt dulden und verschleiern. Oder ihre Ressourcen dazu nutzen, rechte Strukturen innerhalb der Polizei oder auch der Bundeswehr zu decken und somit aufrechtzuerhalten. Seit 1990 sind mindestens 208 Menschen durch rechte Gewalt getötet worden; von einer höheren Dunkelziffer wird ausgegangen. In vielen Fällen weigert sich die Polizei, die rechte Ideologie als Motiv der Täter*innen zu sehen. Nach der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) im Jahr 2011 zeigten sich viele überrascht: Neonazis, die untergetaucht sind, Serienmorde, Bombenanschläge und Raubüberfälle begehen? Die gesellschaftliche Ignoranz verdeutlichte sich, indem von „Einzeltätern“ und „Einzelfällen“ gesprochen wurde. Einzelne Politiker*innen zeigten sich betroffen und versprachen, es werde nun wirklich etwas getan – doch wieder geschah nichts. Nach den gewalttätigen Krawallen in Heidenau im August 2015 oder Chemnitz im August 2018, dem Mord am ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019, dem antisemitischen Attentat auf die Synagoge in Halle mit zwei Toten im Oktober 2019 und dem rassistischen Anschlag von Hanau bei dem vor vier Monaten zehn Menschen getötet wurden äußerten sich Politiker*innen, Sicherheitsbehörden und bürgerliche Journalist*innen erneut überrascht. Noch immer relativieren Polizei, Geheimdienste und bürgerliche Politiker*innen die Kontinuität des rechten Terrors und vermeiden eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Hintergründen. Das alles ist möglich, weil rassistische und neonazistische Strukturen fester Bestandteil des politischen Systems in der BRD sind. Während die bürgerliche Politik damit beschäftigt ist, sich als Vorreiter im Kampf gegen Rassismus zu inszenieren und sich selbst auf die Schulter klopft, zeigen beispielsweise die Aufdeckungen des NSU-Komplexes oder im Kommando Spezialkräfte (KSK) immer wieder, wie erfolgreich sich faschistische Strukturen innerhalb der Polizei, der Bundeswehr und des Verfassungsschutzes etablieren und von dort aus militante Strukturen inner- und außerhalb des Staatsapparates decken, mitaufbauen, finanzieren und bewaffnen. Auch wenn Faschist*innen keinen einheitlichen Block mit kohärenter Ideologie bilden, agieren unterschiedliche rechtsradikale Strukturen durch personelle Überlappungen erfolgreich miteinander und haben durch die AfD auch einen politischen Arm in den Parlamenten. Ganze rechte Terror-Netzwerke mit bereits ausgearbeiteten Plänen, eingelagerten Schusswaffen, Munition und Sprengstoff-Zündern sind schon lange die traurige Realität. Doch die Verfahren werden oft eingestellt, noch bevor überhaupt eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft erhoben wird. Dass diese „Behörden“ auf dem rechten Auge blind sind, ist kein Zufall – die Geschichte dieser staatlichen Institutionen legt das nahe. So wies das Bundeskriminalamt genauso wie die Justiz oder der Verfassungsschutz bereits bei deren Gründung eine große personelle und strukturelle Kontinuität zur Zeit des deutschen Faschismus auf, weil diese von ehemaligen SS-Angehörigen aufgebaut wurden. Dies ist nur die Spitze des Eisberges, der vulgärste Ausdruck einer rassistischen und faschistischen Ideologie, die tief in der deutschen Gesellschaft verankert ist. Hinzu kommen die alltäglichen Erniedrigungen, Beleidigungen und Diskriminierungen in Form von Sprüchen oder Übergriffen, wie wir in den anderen Redebeiträgen bereits gehört haben oder hören werden. Wir und die Menschen, die dem ausgesetzt sind, leben mit einer alltäglichen Angst um das Leben der eigenen Familie und ihrer Freund*innen ­– ein Zustand, der für viele von uns nur schwer zu ertragen ist. Immer wieder werden wir mit der Enttäuschung konfrontiert, wenn der Staat in der Realität rechtsterroristische Strukturen nicht komplett zerschlägt, sondern nur deren Handlungsspielraum einschränkt. Bis heute fehlt es an Aufklärung im NSU-Komplex, weil Akten bewusst unter Verschluss gehalten werden, statt diese endlich für die Öffentlichkeit freizugeben.

Doch nicht nur diese Ereignisse sind es, die uns zeigen, dass wir uns nicht auf den Staat verlassen können. Vielmehr möchte dieser die Wut und den Widerstand breiter Bevölkerungsschichten diskreditieren, ihnen ihre Eigenständigkeit und ihren eigenen Ausdruck absprechen und Spaltungslinien in die Proteste, hinter denen die Mehrheit der Menschen steht, treiben. Erst gestern wurde in einer Sitzung des deutschen Bundestages durch einen parlamentarischen Antrag der AfD das Verbot der „Antifa“ diskutiert. Wieder wird durch die Politik versucht, den legitimen Protest von Betroffenen und ihrer Unterstützer*innen gegen rassistische Gewalt zu denunzieren, indem von einer Provokation vermeintlich „linker Krawallmacher“ gesprochen wird. Mit dieser Taktik soll die Bewegung in friedliche, konforme Teile und vermeintlich gewalttätige Teile gespalten werden. Doch den Widerstand gegen diese Gewalt nun selbst als solche zu diskreditieren, ohne ihre Ursprünge zu sehen und ihre Berechtigung anzuerkennen, reproduziert die tödlichen gesellschaftlichen Zustände. Dass die Wut in anderen Ländern in Teilen auch die Polizei oder koloniale Denkmäler getroffen hat, ist nur wenig verwunderlich. Wir sind der Meinung, dass der Protest gegen Rassismus, soziale Ausgrenzung und Polizeigewalt legitim ist. Die Wut der betroffenen Menschen gehört auf die Straße sowie in die Gesellschaft getragen, in der sie viel zu lange ungehört blieb oder ignoriert wurde. Gemeinsam stehen wir solidarisch an der Seite aller Antifaschist*innen, nehmen uns weiterhin selbstbestimmt die Straße und lassen uns im Kampf für unsere Sache nicht spalten.

Ein Grund hierfür ist, dass der deutsche Staat bei jeder Gelegenheit aufs Neue beweist, dass dieser das Leben (post-)migrantischer Menschen nicht schützen wird, auch wenn er hin und wieder rechte Strukturen zerschlägt. Wir müssen zusammenhalten, besonders weil Faschist*innen stetig eine konkrete Bedrohung für all jene Menschen sind, die nicht in ihr menschenverachtendes Weltbild passen. Für uns bedeutet das die Notwendigkeit, kommunale (post-)migrantische Strukturen in unseren Kiezen aufzubauen sowie einen handlungsfähigen antifaschistischen Schutz selbst zu organisieren, um den Übergriffen und Anschlägen Einhalt gebieten zu können. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass auch rechte Terrorist*innen mal klein angefangen haben. Jede Praxis gegen Faschist*innen kann deshalb Auswirkungen darauf haben, dass diese nicht so weit kommen, uns anzugreifen. Das können wir am besten verhindern, wenn wir schon lange bevor es soweit ist, ihren Strukturen entgegentreten und sie dadurch hindern, überhaupt eine entsprechende Stärke zu erlangen. Denn eine unserer Hauptaufgaben muss es sein, sich selbst und andere Menschen vor Angriffen durch Neonazis zu schützen, um nicht mehr als ein Leben in Würde führen zu können. Wir müssen uns aus der Vereinzelung befreien, um antifaschistische Strukturen aufzubauen, weil wir nur handlungsfähig werden, wenn wir uns verbindlich organisieren und nicht nur lose Zusammenhänge zu einzelnen Kampagnen bilden. Aus den Erfolgen und Fehlern der Vergangenheit zu lernen, ist nur möglich, wenn wir kontinuierlich gegen den Rechtsruck und die Faschist*innen vorgehen. Eine theoretische Analyse unseres Feindes und seine Strukturen zu kennen ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche konkrete Praxis. Auch dieses Wissen lässt sich durch stetige Arbeit aneignen. Deshalb müssen wir eine antirassistische Aktionseinheit bilden, die sich den Rechten in den Weg stellt. Nur so können wir unsere Position stärken und in die Situation kommen, effektiv und flächendeckend den Rechtsruck anzugehen. Denn es genügt nicht die Faschist*innen in einzelnen Regionen zurück zu drängen. Der Fokus einer antifaschistischen Arbeit und Organisierung muss in der Nachbarschaft liegen und zugleich mit einer überregionalen Perspektive verbunden sein. Auf Grundlage von erprobten Herangehensweisen sind im Kampf gegen Faschismus und Rassismus verschiedene Aktionsformen notwendig und legitim. Als zentrale Aufgabe sehen wir den Aufbau einer kämpferischen eigenständigen Migrantifa, die Kontinuität, eine politische Linie sowie eine kollektive Herangehensweise mit einer gemeinsamen Praxis entwickelt und diesen Anspruch auf die Straße bringen kann. Die konkrete regionale Praxis und lokale Verankerung ist eine Voraussetzung. Um Rassismus zu bekämpfen und hoffentlich eines Tages zu überwinden, müssen wir das gesellschaftliche System verändern, das ihn produziert und reproduziert. Wir begreifen uns als Teil einer Bewegung für eine solidarische, befreite und klassenlose Gesellschaft jenseits des Kapitalismus – denn schon der schwarze Bürger*innenrechtler Malcolm X wusste: „You can’t have capitalism without racism“ („Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus“)! Wir müssen eine globale Gegenmacht zu den gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnissen erstreiten, weil diese auf einer imperialistischen und neokolonialen Ausbeutung sowie rassistischer Unterdrückung aufbauen. Ohne den einen Kampf können wir den anderen also nicht gewinnen.

Wir sagen: Es reicht! Unser Widerspruch und Widerstand, darf nicht gelegentlich bleiben. Er muss permanent werden. Für uns gibt es nichts zu diskutieren. Lasst uns gemeinsam den Kampf fortführen, den schon unsere Eltern und Großeltern fortgeführt haben. Unsere Antwort ist also ein radikaler, (post-)migrantischer und organisierter Antifaschismus. Wir nehmen uns das Recht und die Zeit, uns in Zukunft selbst gegen Rassismus zu verteidigen. Wir werden nicht warten, bis Nazis wieder angreifen. Wir treten aus der Vereinzelung heraus. Wir bleiben nicht alleine.

In diesem Sinne:

Den (post-)migrantischen und antifaschistischen Selbstschutz aufbauen!

Rassismus, Faschismus und Polizeigewalt bekämpfen!

Verfassungsschutz und rechte Netzwerke auflösen!

All Power to the People!